Nachtjaeger by J. T. Geissinger

Nachtjaeger by J. T. Geissinger

Autor:J. T. Geissinger
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Paranormal
ISBN: 3453314980
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2013-07-07T22:00:00+00:00


16

Der Schnitt an ihrer Fußsohle war klein. Zumindest anfangs. Sie zog ihn sich zu, nachdem sie auf die papierdünne Kante eines zersplitterten Obsidian getreten war, der vor der Hütte gelegen hatte. Die Ränder des Schnitts waren sauber, und er reichte nicht tief. Es blutete mehr als es wehtat. Doch die Wirkung, die diese Verletzung nach sich zog, war höchst beängstigend.

Seit sie auf den Stein getreten war, war Jenna nicht mehr in der Lage, ihre Gestalt zu wandeln.

Sie versuchte es auf jede nur erdenkliche Weise, eine Verwandlung zu erzwingen. Zuvor war es wie zufällig geschehen, wenn sie sich aufregte, verängstigt war oder auch wenn sie nur daran dachte. Ein einziges Wort in ihrem Inneren reichte, und sie vermochte all den Dingen zu entkommen, die aus Leanders Mund kamen. Sie wurde zu Nebel.

Doch nun gab es nur ein Glühen, ein Flackern. Aber die Verwandlung trat nicht ein.

Sie hatte keinen Plan gehabt, als sie in den Wald geflohen war. Es war ihr nur darum gegangen, Leander zu entkommen. Die Hütte schien ein guter Ort zum Verweilen zu sein, während sie sich sammelte und überlegte, was sie als Nächstes machen sollte. Klares, kaltes Wasser plätscherte in einem kleinen Bach etwa zwanzig Schritte von dem Häuschen entfernt, es gab wilden Senf und Himbeeren, und selbst einige Morcheln zeigten ihre blassen Köpfe auf einem verbrannten Fleck Erde ganz in der Nähe. Jenna hatte ein Dach über dem Kopf, sie hatte zu essen, und sie hatte zu trinken.

Was sie nicht hatte, war irgendeine Ahnung, was sie als Nächstes tun sollte.

Den ersten Tag verbrachte sie in einem Zustand des Zorns, der sich so anfühlte, als ob er nicht in ihrem Inneren, sondern um sie herum wäre. Sie hatte das Gefühl, dass er ihr überallhin folgte, ein dichter Nebel aus Wut, durch den sie kaum zu blicken vermochte. In ihr selbst spürte sie nichts – kein Licht, keine Hoffnung, nichts Festes oder Greifbares. Es schien so, als ob die enormen Gefühle nicht in ihren Körper passten, sondern mehr Raum bräuchten, um zu atmen.

Sie hingegen konnte nicht atmen. Sie verbrachte viele lange Minuten der Panik, in denen sie nach Luft schnappte und sich sicher war, jeden Moment einem Herzinfarkt zu erliegen, so groß waren die Schmerzen in ihrer Brust.

Als die Sonne unterging und der Wald in dämmriges Licht getaucht war, nahmen die Schmerzen ab. Statt der hoffnungslosen Qual erfüllte sie jetzt gedämpfte Pein. Der Himmel wurde in ein leuchtendes Fuchsiarot getaucht, als die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand. Jenna stand da, beobachtete das rosafarbene und violette Farbenspiel und dachte an ihr Zuhause. Ihr winziges Apartment am Strand, das Welten von dieser Umgebung entfernt war. Es fehlte ihr auf einmal mit einer Heftigkeit, die sie selbst überraschte. Sie vermisste Mrs. Colfax und Becky und ihre Arbeit bei Mélisse, ja selbst für den hysterischen Geoffrey empfand sie so etwas wie Nostalgie. Zumindest waren diese Leute real und zuverlässig gewesen, ihre Heimat.

Hier hingegen war sie nicht zu Hause. Es würde auch niemals ihre Heimat sein. Und diese Leute … Christian hatte recht. Diese Leute waren Tiere.



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